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The struggle is real - nicht dein Ernst.

Thema: Geschlechtsidentität

Die Lesebühne Kunstloses Brot lässt das Publikum bestimmen, zu welchen Themen wir fünf unsere Texte schreiben. Thema im April: Geschlechtsidentität. Wo anfangen? Ein Tag als Mann? Frauenrollen? Mode? Gleichberechtigung? Hm. Tausend Ansatzpunkte. Aber dieses Foto einer Make-Up-Kampagne gab mir einfach den Rest:

Quelle: https://www.maybelline.de/teint-make-up
Quelle: https://www.maybelline.de/teint-make-up

Woran müsst ihr bei dem Foto denken? Meine erste Assoziation: Selbstmord. Ritzen. Und dazu Vokabular wie "Struggle" (engl. Kampf) im Werbeslogan verwenden, um ein Kosmetikprodukt zu vermarkten? Ernsthaft!? Finde ich nicht gut. Völlig absurd. Und deshalb entstand schließlich folgender Text.

Ich identifiziere mich ja. Nur womit?

Wenn ich mich nicht schminke, also ziemlich oft, dann heißt es: „Du siehst heute so müde aus.“ Mindestens einmal am Tag kriege ich das dann zu hören. Wahlweise: „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Das ist ja schon fast wieder okay, denn Besorgnis rührt mich.

Aber nun ja, was soll ich sagen? So sehe ich eben aus. Ungeschminkt. Ohne Mascara, das den Blick öffnet, weil Wimpern gestreckt werden. Ohne Lidschatten, der die Augen strahlen lässt. Und ohne Kajalstift, der ... ja, was macht der eigentlich? Kleopatra-Augen oder Katzen-Optik, oder so? Hauptsache der Werbespot weiß es und pflanzt es ungefragt in unsere Hirne hinein. Ich weiß doch noch nicht mal, ob es „der, die oder das Mascara“ heißt. Benutze noch nicht mal regelmäßig Make Up. Warum? Weil ich einfach nicht weiß, welcher Hauttyp ich bin. „Finde die richtige Foundation für deinen Teint: Ivory, nude, beige, caramel, porcellain, pecan, natural buff …“ ?? Das klingt für mich alles nach Powerpuff Girls und anderen Comicheldinnen. Aber nicht nach mir. Mir ist das schlicht zu anstrengend. Und überhaupt: Möchte ich matten Teint und unsichtbare Poren oder Classy Shimmer und Creamy Fit? Auf der letzten Tube, die ich unschlüssig in der Hand hielt, stand: „Es deckt Unreinheiten und Makel ab, reduziert Glanz und sorgt für einen gleichmäßigen Matt-Effekt.“ Also erstens: Meine Unreinheiten gehen niemanden etwas an. Makel? Also ich mag meine Nase. Und Glanz im Gesicht? Äh, kenn ich nicht. Vielleicht bin ich von Haus aus der matte Typ. Matt und müde aussehend, offensichtlich.

Foto: Julia Baszanowski
Foto: Julia Baszanowski

Und wenn die Sonne scheint, bekomme ich Sprenkel im Gesicht und einen Punkt auf der Nase, der aussieht wie Dreck. Dem könnte jetzt natürlich mit der perfekten Foundation zu Leibe rücken aber ganz ehrlich: Eigentlich freu ich mich dann immer, weil ich weiß: Der Sommer kommt!

 

Im Grunde genommen, mag ich meine Haut so wie sie ist. Aber für diesen Hauttyp finde ich nichts im Kosmetikregal. Auf keinem Produkt steht „You don't need me“ oder „I'm too expensive “ oder „Meinetwegen haben Tiere gelitten, viel Spaß beim Auftragen.“

Aber hey, wie wäre es denn mit einer bunten Box, die man kauft, weil sie so schön aussieht und die aus recyceltem Material zu Fairtrade-Konditionen hergestellt wurde. Auf dieser Box sollte stehen: „Do it yourself- Kit for being as much beautiful as possible und dann schraubst du diesen niedlichen Deckel der wunderschönsten Box auf dieser Erde ab, ganz andächtig und dann hast du es geschafft, der Deckel ist ab und in der Box, da liegt ... nichts. Die ist leer. Und du bist enttäuscht. Hast du doch soeben das Geheimnis erkauft, um as much beautiful as possible zu sein. Und jetzt? Ganz klein steht auf dem Grund der Box: Just be. Und du denkst: Na toll. War das nicht der Slogan von Nike? Und ich sage: Nein, denk lieber noch mal nach. 

 

Zumindest bringt sie mich zum Grinsen, die Vorstellung, hier in der Kosmetikabteilung, wo mich Ratschläge und Superlative erdrücken möchten. Niemand braucht das. Niemand braucht Make Up, um „natürlich schön“ zu sein. Um das noch mal klarzustellen: Mich stört es nicht, wenn Frauen sich schminken. Mich stört es nur, wenn Frauen denken, sie müssten das. Natürlichkeit ist keine Erfindung der Kosmetikindustrie. Und Schönheit lässt sich nicht kaufen. Du denkst ich sehe müde aus? Das Leben ist nun mal kein Ponyhof und manchmal sieht man mir den Arbeitstag eben an. Und jetzt weiß ich auch endlich, wie ich das nächste Mal reagiere, wenn jemand zu mir sagt: Du sieht aber heute müde aus. Ich werde singen, ja, ich werde ihm entgegen schmettern: Hey, I work hard for the money, so you better treat me right.*

 

*gesungen auf der Bühne irgendwie besser ....

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Kommentare: 2
  • #1

    Uschi (Dienstag, 01 August 2017 18:02)

    Sehr schön, Sari! Ich hatte auf den ersten flüchtigen Blick auf das Werbebild noch eine andere Assoziation, nämlich die, dass es hier um Rassismus geht, oder besser: um den "Struggle" von PoC für Normalität im Alltag, um Zugehörigkeit und gegen Ausgrenzung. "The struggle is real" klingt fast so. PoC in Europa und den USA leiden auch unter dieser Form von Diskriminierung. Doch offenbar hat Maybelline wie die meisten zig verschiedene Nuance für Weiße, gerne auch tanned, aber nur 2 Nuancen für PoC. Deren Haut sollte also wohl besser schokobraun oder mocca sein oder einfach Pech gehabt. Frei nach dem Motto "du bist die Ausnahme, nicht die Norm", "du gehörst hier nicht wirklich hin". Wie schön, dass diese Firma total tone deaf selbst so deutlich illustriert, wie unbrauchbar sie ist. Unter dem Hashtag auf Twitter finden sich dann passender Weise auch mehr first world problems als irgendwas sonst.
    LG Uschi

  • #2

    Sari (Donnerstag, 31 August 2017 19:15)

    Liebe Uschi. Besser spät als nie: Vielen Dank für deinen Kommentar und den gewichtigen Beitrag. Ich bin völig deiner Meinung. Meine Kritik am Marketing der Kosmetikindustrie und speziell an diesem Slogan ging tatsächlich nur in die eine, sehr persönliche Richtung in meinem Text. Umso wichtiger, dass du aufzeigst, auf welcher höheren Ebene der ganze Zirkus kritikwürdig und beschämend ist. Danke dafür, ich freue mich weiterhin über deine Rückmeldungen. � Viele Grüße!